Du schreibst einen Brief oder eine Mail und achtest hier auf einen korrekten Schreibstil bzw. Ausdruck. Das ist auch gut so, keine Frage. Wie gehst du jedoch vor, wenn du einen Vortrag, eine Präsentation oder eine Rede halten sollst? Genauso? Hoffentlich nicht.
Denn die mündliche Kommunikation hat überhaupt nichts mit der schriftlichen zu tun. Auch wenn das nachvollziehbar klingt, ist es vielen Menschen in ihren Sprechsituationen scheinbar nicht bewusst. Sie klingen fast so, wie wenn sie das Amtsblatt einer Gemeinde oder ähnliches vorlesen würden.
Aber erstmal der Reihe nach. Als ich frisch ausgebildeter Atem- und Stimmtrainer war, schenkte auch ich dem Zitat „Stimme formt die ganze Persönlichkeit“ Glauben. Ich achtete in meiner Arbeit auf die fünf wichtigsten Elemente „Präsenz“, „Körperspannung“, „Atmung“, „Artikulation“ und natürlich „Stimme“. Und ich finde sie in der Basis-Arbeit, also dem klassischen Stimm- und Sprechtraining, immer noch wichtig.
Doch mit den Jahren und den zahlreichen Trainings und Coachings mit meinen Klienten wurde mir irgendwann eins bewusst: Alle suchen nach Überzeugungskraft, Souveränität, Authentizität, Sicherheit und Entspannung. Und ich fragte mich daraufhin, ob sie alle diese Punkte nur durch ein Stimmtraining erreichen können.
Stimmtraining: Eine tolle Stimme ist nur die halbe Miete
Tiefe Stimmen sind glaubwürdiger. Das haben einmal Wissenschaftler in einer Studie herausgefunden. Und tatsächlich wünschen sich die meisten Menschen, die ein Sprechtraining aufsuchen, eine voluminösere, tiefere Stimme. Viele Menschen sind in Vorträgen, Präsentationen angespannt - aus welchen Gründen auch immer. Daher klingt ihre Stimme auch gepresst bzw. gedrückt. Sobald sie diese öffentliche Sprechsituationen verlassen, sprechen sie wieder (automatisch) entspannter und tiefer. Hier geht es um (emotionale)Körperspannungsprozesse: Je durchlässiger wir vor allem in unserem Hüft- bzw. Beckenbereich sind, desto mehr Volumen erhält unsere Stimme.
Zudem kann sich jeder seine natürliche Stimmlage vergegenwärtigen, bevor er in einen Vortrag einsteigt. Das geht am schnellsten mit der Schokoladenübung: Man stellt sich vor, dass ein Stück der Lieblingsschokolade gerade auf der Zunge zerfließt und geht in ein entspanntes „Mmmmmmhhhh“ hinein. Wenn sich die Stimme dabei entspannt anfühlt und gleichzeitig voll und klar klingt, kann man sicher sein, dass man seinen Eigenton gefunden hat. Und auf diesem sollte man bestenfalls immer unterwegs sein. Dafür braucht es aber einen weiteren wichtigen Faktor, die Präsenz. Also das Bewusstsein für sich selbst, seinen Körperzustand und die Verbindung zu den Zuhörern. Denn fehlt diese Form von Achtsamkeit, kann es schnell in einem selbstbezogenen Sprechen enden, das leider immer wieder – gerade in zahlreichen Lehreinrichtungen – zu beobachten ist. Diese Präsenz lässt sich durch die Fokussierung unserer Sinne aktivieren, beispielsweise, indem man sich selbst beim Sprechen zuhört. Ein weiterer, positiver Nebeneffekt: Schnellsprecher werden dadurch automatisch langsamer.
Psychorespiratorischer Effekt: Der Zuhörer "fühlt" den Sprecher
Sicherlich hast du das auch schon einmal erlebt: Du sitzt in einem Vortrag und fühlst dich plötzlich irgendwie unwohl, angespannt oder unsicher. Das kann daran liegen, dass du innerlich den Sprecher imitierst. Was das heißt? Spricht der Vortragende zu schnell und atmet hastig, ist das meistens auf eine innere Anspannung zurückzuführen. Und diese überträgt sich unmittelbar auf die Zuhörer. Ein Grund mehr, weshalb ein Mensch, der öffentlich spricht, immer wieder auf seine Präsenz achten sollte. Denn allein durch diesen Effekt kann auch folgendes passieren: Es entsteht irgendwann eine Antipathie seitens des Zuhörers und er schaltet früher oder später gedanklich ab. Du kannst dir vorstellen, was das bedeutet: Die Informationen des Vortrags verpuffen.
Warum die Persönlichkeit genauso wichtig ist wie unsere Stimme
Das obere Beispiel zeigt, dass der verbundene Sprechausdruck sehr stark mit der Persönlichkeit verknüpft sein kann. Hinter solchen angespannten Rednern mit „Schnappatmung“ können oftmals auch Glaubenssätze stecken wie „Ich muss in kürzester Zeit sehr viele Informationen übermitteln, sonst werde ich nicht als kompetent wahrgenommen“. Auslöser für diese Verankerung im Gehirn, kann beispielsweise eine längst zurückliegende Prüfungssituation im Studium gewesen sein.
Es gibt aber natürlich noch weitere Facetten, die hier eine Rolle spielen können: „Selbst-bewusst-sein“, „Keine-eigene-Meinung-haben“, „Empathie“, „Intro- und Extraversion“ und „Anpassung“. Gerade der letzte Punkt scheint in der Arbeitswelt weit verbreitet zu sein. Viele Menschen passen sich hier (vll. aus Angst vor Ausgrenzung) unbewusst den Kollegen an, was Meinungen, jedoch auch Sprech- bzw. Sprachstile angeht. So sind sie mit einem Sprechausdruck unterwegs, in dem sie sich gar nicht wohlfühlen, da es ja nicht ihr eigener ist. In der beruflichen Kommunikation kommt es somit schnell zu Unstimmigkeiten, da die eigene Persönlichkeit quasi „unterdrückt“ wird. Früher oder später kann sich das auch auf die Lebensqualität auswirken.
Wer Muster und Prägungen in seinen Sprechsituationen erkennen kann, hat die Chance, diese näher zu beleuchten und sie schließlich aufzulösen. Was bleibt ist dann die wahre Essenz der eigenen Persönlichkeit: Lebendigkeit und Präsenz. Solche Menschen sind mit sich im Reinen, kennen ihre Stärken und Schwächen und zeigen diese bewusst auch in öffentlichen Gesprächen. Sie besitzen eine gute emotionale Selbstregulation und haben keine Angst vor Verletzlichkeit, da sie wissen, dass sich hinter ihr eine Stärke verbirgt. Dafür braucht es nicht unbedingt Expertenbücher zum Thema “Körpersprache und Co.”, sondern nur sich selbst. Gepaart mit dem Mut und dem Vertrauen, Schichten abzulegen, die im Laufe des Lebens (Sozialisation) übernommen worden sind, die heutzutage aber nicht mehr gebraucht werden. Wenn diese „sich-selbst-bewussten“ Menschen kommunizieren, werden sie von ihren Mitmenschen oftmals als sehr authentisch bzw. stimmig wahrgenommen.
Schriftdeutsch "versaut" Präsentationen, Reden und Interviews
Aufsätze, Hausarbeiten, Doktorarbeiten etc. Das alles sind Formen, in denen das Schriftdeutsch zuhause ist. Wo es darauf ankommt, dass unverbrauchte Wörter, ein großer Wortschatz und neue Bilder im Spiel sind. Fachausdrücke, gepaart mit langen Schachtelsätzen, zeugen von Wissen und Kompetenz. Soweit, so gut. Was passiert aber, wenn diese Form in unsere mündliche Kommunikation transferiert wird? Es kommt zu einem „Verständlichkeits-Stau“, der die Zuhörer dermaßen abschreckt, dass sie gedanklich den Raum verlassen. Und das ist vollkommen normal und natürlich.
Denn unser Gehirn ist von zu vielen Informationen überfordert. Stell dir einmal vor, dein Freund würde dir etwas im „krassesten Beamtendeutsch“ erklären wollen. Ihn würdest du vermutlich so lange „löchern“, bis du verstanden hast, um was es eigentlich geht. Aber in einer „öffentlichen Sprechsituation“? Hier muss die Sprache von Anfang an „sitzen“ und der Inhalt auf Anhieb verstanden werden.
Bei diesem Thema kommt auch die Präsenz im Bereich „Stimme“ zum Einsatz. Der Sprechende benötigt eine klare Intention davon, zu WEM er spricht. In meinen Trainings und Coachings nehme ich hier immer wieder gerne das „Radiodeutsch“ zur Hand, das aus kurzen, einfachen und plastischen Sätzen besteht. Dieses lebt von Verben, statt von Substantivierungen. Vom Aktiv, statt Passiv. Dies rational zu befolgen macht wenig Sinn. Es kommt eher auf die bereits angesprochene „innere Einstellung“ an. Vergleichen Sie es mit Radiomoderatoren. Sie sitzen häufig ganz allein im Studio und sprechen zu Millionen von Menschen, die sich angesprochen fühlen. Die Moderatoren stellen sich ihre Zuhörer ganz genau vor.
Und genau das ist der springende Punkt: Viele Menschen denken, sie müssten sich besonders hochgestochen und eloquent in Vorträgen ausdrücken, damit sie „wichtig“ oder „kompetent“ rüberkommen. Der Preis, den sie dafür zahlen, ist meistens die fehlende Verständlichkeit gepaart mit einer inneren Anspannung beim Sprechen. Und nicht nur das: Diese Menschen unterdrücken damit auch ihre Natürlichkeit bzw. Persönlichkeit. Meine These: Dieses Schriftdeutsch macht deshalb so vielen Menschen „zu schaffen“, da es sie von der Grundschule bis zum Hochschulabschluss begleitet hat. Der schriftliche Ausdruck war immer immens wichtig, die mündliche Kommunikation geriet dafür (leider) unter die Räder.
Manche Hochschulen und Universitäten haben in den letzten Jahren dieses Dilemma erkannt und bieten studienbegleitend Rhetorik-Kurse an. Die Frage ist nur, wie viele Studierenden sie tatsächlich besuchen. In meinen Coachings bemängeln immer wieder Führungskräfte, dass solche Kommunikationstrainings nie in ihren Studiengängen integriert waren. Wenn du dich in Vorträgen, Präsentationen, Reden oder Interviews schwer tust und sich das Schriftdeutsch permanent dazwischen mogelt, möchte ich dir abschließend noch einen Tipp auf den Weg geben: Stell dir vor, du würdest dein Thema einem guten Freund (der sich in deinem Bereich gar nicht auskennt) erklären. Wie (mit welchen Worten) würdest du zu ihm sprechen?
Die Bereiche „Stimme“, „Persönlichkeit“ und „Botschaft“ stehen unmittelbar in Verbindung, wenn es ums (öffentliche) Sprechen geht. Denk' beim nächsten Vortrag also daran, dass es nicht nur auf eine schöne und klare Stimme ankommt. Die Menschen lieben ebenfalls eine stimmige Persönlichkeit und plastische Inhalte.
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